Im letzten New Work Artikel „Kultur frisst Struktur zum Frühstück“, ging es zu Beginn darum, dass eine neue Unternehmenskultur aus einem neuen Kontext entsteht. Ein Missverständnis, dass dabei sehr schnell aufkommen kann ist, dass es vermeintlich darum geht, neue Gesetzmäßigkeiten und Regeln zu bestimmen, an die die Mitarbeiter sich zu halten haben, damit New Work funktionieren kann. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Durch neue Regeln kann ein New Work Kontext in einem Unternehmen sehr schnell sterben.

Um eine Aussage des letzten Artikels noch einmal kurz in Erinnerung zu rufen: Der Kontext bestimmt, was möglich ist. Das bedeutet, um tatsächlich neue Resultate erzielen zu können, ist es notwendig, in einen neuen Kontext zu wechseln, in dem nicht mehr das gewöhnliche Verhalten, die gewöhnlichen Perspektiven und Bedingungen vorherrschen. Das gewöhnliche Verhalten schließt starre Regeln ein.

Die Versuchung und Gefahr von Regeln
Die Versuchung in Unternehmen ist oftmals sehr groß, neue Regeln und Konzepte anstatt eines neuen Kontexts einzuführen. Das liegt daran, dass die Angst von Führungskräften – und Mitarbeitern generell – die Kontrolle zu verlieren und gegen Regeln zu verstoßen, enorm groß ist. Doch gerade starre Regeln, die in der Vergangenheit die meisten Kommunikationswege und Arbeitsprozesse definiert haben und auch hilfreich waren, stehen aktuell der Weiterentwicklung vieler Unternehmen hin zu einer neuen Art des Arbeitens im Weg.

Grund hierfür sind die Eigenschaften von Regeln. Regeln sind meist starr, unflexibel und begrenzend. Sie basieren auf intellektuell logischen Argumenten und strikten Vorgaben und versuchen Handlungen zu kontrollieren. Die Rigidität von Regeln hat zur Folge, dass Mitarbeiter sich anpassen und den Regeln folgen, dadurch jedoch ihre eigene Entscheidungskraft und das eigene Verantwortungsbewusstsein verkümmern. Durch Regeln und starre Abläufe werden der Kreativität Grenzen gesetzt und der Mut über den Tellerrand zu schauen und Neues auszuprobieren, weicht der Angst, Fehler zu machen.

Regeln öffnen zudem das Tor zu sogenanntem Niederen Drama (Täter-Retter-Opfer Dynamik) und Positionsverhaftungen. Das liegt daran, dass Regeln auf der „Richtig-Falsch-Klassifizierung“ basieren und es vielfach massive Konsequenzen hat, wenn ein Mitarbeiter die Regeln nicht befolgt. Wer die Regeln bricht, passt nicht ins System bzw. ins Unternehmen und fliegt in letzter Instanz raus. Starre Regeln lassen wenig Spielraum für Forschen, Entdecken, Fehlermachen, Lernen, Inspiration und Kreativität. Regeln haben somit einen eher ausschließenden Charakter, als einen verbindenden oder integrierenden Charakter.

Starre Regeln verhindern auch, dass die Mitarbeiter Ihr Feingespür nutzen, um zu erkennen, was der Raum, das Team, das Projekt oder das Unternehmen tatsächlich gerade braucht. Regeln fördern eher die Taubheit der Mitarbeiter, denn die Weitsicht und Flexibilität. Da, wo Regeln sind, muss ein Mitarbeiter nicht selbst denken und schon gar nicht spüren, ob ein geregelter Prozess stimmig ist oder nicht.

Neue Möglichkeiten durch einen neuen Kontext
Anders ist es hingegen, wenn ein neuer New Work Kontext etabliert wird. Ein neuer Kontext basiert auf Unterscheidungen und Klarheit, die dazu führen, dass Mitarbeiter durch erlebbare Perspektivenwechsel und Lernerfahrungen ein neues Bewusstsein entwickeln und den Kontext in sich verankern. Ein neuer Kontext ist somit nicht nur auf den Intellekt begrenzt sondern schließt auch den physischen, emotionalen und sogenannten energetischen Körper ein. Ein New Work Kontext erfordert nicht nur ein neues Bewusstsein, sondern er fördert es zugleich. Er ist die Voraussetzung für das Erschaffen einer neuen Spielwelt.

Entscheidend in dem neuen Kontext ist eine alltäglich präsente und gelebte Feedback- und Coaching- Kultur, die sogenanntes Schnelles Lernen ermöglicht. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter, neue Vorschläge machen und neue Wege ausprobieren können und direktes Feedback & Coaching darüber bekommen, was funktioniert und was nicht funktioniert. New Work und Agilität kann nicht mit starren Regeln funktionieren, da ein enorm hoher Grad an Flexibilität, Kreativität, Nichtwissen und Experimentieren gefragt ist. New Work kann nur durch Ausprobieren funktionieren. Denn wie Gary Hamel – einer der weltweit einflussreichsten Vordenker im Business Bereich auch sagt: Es gibt keinen gut etablierten Weg, um eine post-bürokratische Organisation aufzubauen. Während man Inspiration von Firmen bekommen kann, die bekannt dafür sind, nicht-bürokratisch zu sein, wie Morning Star – der in Kalifornien sitzende Verarbeiter von Tomaten – und W. L. Gore –die Firma, die High-Tech Materialen herstellt und für ihre Gore-Tex Stoffe bekannt ist – so haben diese Firmen ihre markanten Management Praktiken über Jahrzehnte entwickelt. Während es viel von diesen und anderen Vorreitern zu lernen gibt, wird jede Bürokratie gebundene Firma, die ihr Management Vorgehen überarbeiten will, ihre eigene Landkarte erfinden müssen.

Ein New Work Kontext ermächtigt die Mitarbeiter und lädt sie ein, kreativ, innovativ, flexibel und vor allem selbstverantwortlich zu sein. Er sorgt für eine Veränderung der inneren Haltung. Dadurch, dass der Fokus bei einer neuen Art des Arbeitens wieder auf den Menschen gerichtet ist, anstatt ausschließlich auf die Ergebnisse, und die Mitarbeiter ihre Talente einbringen können und ein Arbeiten auf Augenhöhe möglich wird, sind sie aus freiem Willen bereit Verantwortung zu übernehmen. Denn: Es gibt keine faulen Mitarbeiter, es gibt nur Mitarbeiter, die nicht inspiriert sind. Sobald Mitarbeiter durch einen neuen Kontext inspiriert sind, in dem sie sich einbringen und entfalten können, sind sie auch bereit, Verantwortung zu übernehmen. Während starre Regeln Mitarbeiter in ihrer Wirkkraft begrenzen, sorgt ein New Work Kontext dafür, dass Mitarbeiter ermächtigt werden.

Im Folgenden finden Sie eine kurze Gegenüberstellung der Eigenschaften von Regeln und einem neuen Kontext.

REGELN

NEW WORK KONTEXT

  • Basieren auf strikten Vorgaben, Kontrolle
  • Basiert auf Unterscheidungen und Klarheit
  • Kommen aus dem Verstand, involvieren nur den intellektuellen Körper
  • Wird in verschiedenen Körpern wahrgenommen (physisch, intellektuell, emotional, energetisch). Landet im Körper
  • Erfordern kein neues Bewusstsein und bauen auch kein Bewusstsein auf
  • Erfordert ein neues Bewusstsein und baut weiteres Bewusstsein auf
  • Sorgen dafür, dass Mitarbeiter Verantwortung umgehen und sich auf Regeln berufen.
  • Sorgt dafür, dass Mitarbeiter freiwillig Verantwortung übernehmen
  • Sind die Voraussetzung für Stagnation und das alles beim Alten bleibt
  • Ist die Voraussetzung für das Erschaffen einer sich entwickelnden neuen Spielwelt
  • Sind begrenzend, wenig lebendig, langweilig
  • Ist offen, lebendig, inspirierend
  • Schließen aus, trennen
  • Integriert, verbindet
  • Fördern die Taubheit der Mitarbeiter
  • Fördern die Lebendigkeit und Talente der Mitarbeiter
  • Müssen befolgt werden / fordern Gehorsam
  • Kann erforscht werden
    Lädt ein, etwas auszuprobieren
  • Fordern das „Sich-Unterordnen“ bzw. „Sich-Anpassen“
  • Lässt jede Person in Ihrer Kraft sein, d. h. zentriert die eigene Autorität sein
  • Lassen keine Wahl => blindes Folgen
  • Basiert auf freiem Willen
  • Werden top down auferlegt
  • Wird gemeinsam erforscht
  • Lassen keine Fehler zu
  • Basiert auf Schnellem Lernen, sowie Feedback & Coaching in Echtzeit
  • Behindern Kreativität und Entwicklung
  • Fördert Kreativität und Entwicklung
  • Üben oftmals Druck aus
  • Beinhaltet eine Einladung, lässt Spielraum
  • Öffnen das Tor zu Positionsverhaftung („Ich habe Recht, weil ich mich an die Regel gehalten habe“)
  • Öffnet das Tor zur Ko-Kreation auf Augenhöhe
  • Öffnen das Tor zu sog. Niederem Drama (Täter-Retter-Opfer Dynamik)
  • Beinhaltet Feedback & Coaching, Timing und den Sinn dafür, was der Raum/das Team/das Projekt brauchen.
  • Sorgen für eine Normung / Kategorisierung
  • Erlaubt Vielfalt und Fülle
  • Lassen nicht über den Tellerrand schauen
  • Erweitert den Horizont

Die Unterschiede aufzuzeigen, mag sehr klar und logisch erscheinen. Das heißt allerdings nicht, dass es leicht ist, einen neuen New Work Kontext zu etablieren. Es wird massive Stolpersteine und Hürden geben, die es zu überwinden gilt. Es ist schließlich eine einschneidende Veränderung, wenn alte, mit Regeln belegte Strukturen aufgebrochen werden sollen. Das kann für die Mitarbeiter und vor allem auch leitende Angestellte zunächst einmal bedrohlich wirken.

Machen Sie bitte einmal folgendes Experiment bevor Sie weiterlesen: vielleicht tragen Sie eine Uhr, oder einen Gürtel (oder haben gewohnheitsmäßig einen anderen Gegenstand an sich). Du hast eine bestimmte Gewohnheit die Uhr oder den Gürtel zu tragen. Die Uhr tragen Sie möglicherweise immer links am Handgelenk und den Gürtel mit der Schnalle nach vorne. Nehmen Sie jetzt einmal Ihre Uhr ab und machen Sie sie an das andere Handgelenk, bzw. ziehen Sie den Gürtel so an, dass die Schnalle hinten am Rücken sitzt. Wie fühlt sich das an (allein, wenn Sie schon daran denken)? Fühlt es sich komisch, ungewohnt, unbehaglich an? Werden Sie schon unruhig, weil die Uhr bzw. der Gürtel nicht an dem gewohnten Platz ist – da wo sie/er doch eigentlich hingehört? Haben Sie den Impuls, das direkt wieder rückgängig zu machen? Oder haben Sie dieses kleine Experiment erst gar nicht gemacht, weil Sie es blöd finden?

Nun, das war soeben nur eine kleine Veränderung im Alltag, die Sie jederzeit wieder rückgängig machen können. Sie können jederzeit zu Ihrer Gewohnheit zurückkehren. Jetzt überlegen Sie sich jedoch einmal, wie es Mitarbeitern geht, die plötzliche auf eine neue Art und Weise zusammenarbeiten sollen. Auf Augenhöhe ko-zu-kreieren ist kein Konzept! Es entspringt einer inneren Haltung, die es notwendig macht, dass Mitarbeiter zunächst einmal zahlreiche Ego-Überlebensstrategien und Gewohnheiten überwinden, die bisher auf klassische Hierarchie und damit verbundene Autoritäten, Regeln und Positionen gepolt waren. Entscheidend ist daher, die Mitarbeiter abzuholen.

Das Interessante ist, dass dort, wo ein stabiler, nachhaltiger und gleichzeitig inspirierender Kontext in einem Unternehmen für eine neue Art des Miteinanders und des Arbeitens sorgt, sind Regeln so gut wie nicht mehr notwendig. Es braucht sicherlich noch einige Vereinbarungen, damit alle Beteiligten das gleiche Verständnis von der neuen Spielwelt haben. Diese haben jedoch nichts mit starren Regeln zu tun, die von vornherein einengen, als Konzepte vorgegeben werden und möglicherweise Prozessabläufe für die nächsten Monate oder Jahre regeln. Ein inspirierender New Work Kontext ermächtigt die Mitarbeiter auf eine Art und Weise, dass sie freiwillig und selbst-verantwortlich agieren, kreativ und inspiriert auf Augenhöhe zusammenarbeiten und sowohl das WIR als auch das ICH stets im Blick haben.

In welchem Kontext möchten Sie arbeiten?

(Autorin: Nicola Nagel)

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