Wenn die Führungskräfte von heute die Führungskräfte von morgen auswählen …
Irgendwie ist es schon paradox. Immer mehr Unternehmen werden sich aktuell darüber klar, dass sich die Form der Führung und der Zusammenarbeit in Organisationen deutlich verändern muss, um fit für die Zukunft zu sein. Manche Unternehmen wagen auch schon erste Schritte, um Veränderungen im Sinne von New Work vorzunehmen und experimentieren mit neuen Vorgehensweisen. Da es aber für zukünftige Organisationsformen und Wege gerade keine nachzuahmenden Musterbeispiele bzw. Blaupausen gibt, weil wir erst dabei sind diese zu erforschen und zu erfinden, wird in vielen Bereichen in Unternehmen noch auf Altbewährtes zurückgegriffen. Verständlicherweise! So zum Beispiel im Recruiting.
Alle sind sich einig darüber, dass die Führungskräfte der Zukunft anders arbeiten müssen als bisher – mehr auf Augenhöhe, weniger hierarchisch, sinnstiftend etc. Wenn Sie sich aber einmal die Stellenausschreibungen oder die Anforderungsprofile für die gesuchten Führungskräfte ansehen, werden Sie eines feststellen: es werden immer noch die gleichen Führungsqualitäten und -werte abverlangt wie bisher. Aber wie, bitte schön, soll sich denn jemals etwas verändern, wenn Sie bei den Key Playern immer wieder auf dieselben Kriterien zurückgreifen?
Es ist ja ein bekanntes Phänomen, dass Hans sich meistens ein Hänschen aussucht, d.h. dass Chefs ihre Mitarbeiter oft unbewusst nach dem Prinzip „Gleich und Gleich gesellt sich gerne“ auswählen. Dies hat auch schon in der Vergangenheit dazu geführt, dass die benötigten Qualitäten in Teams oft nicht ausgeglichen waren. Nun kommen allerdings noch zusätzliche Herausforderungen für das Recruiting von neuen Führungskräften hinzu, nämlich:
- Die Frage, welche Qualitäten zukünftig von Führungskräften gebraucht werden?
- Wie soll eine „Führungskraft von heute“ eine „Führungskraft von morgen“ erkennen und – trotz aller Unterschiedlichkeit – mit ihr zusammenarbeiten?
Was tun, wenn die Soll-Vorstellung noch nicht klar ist?
Ich will mal nicht ungerecht sein. In aktuellen Stellenbeschreibungen und Anforderungsprofilen von Führungskräften sind durchaus auch mitarbeiterorientierte Qualitäten, wie Empathie, wertschätzendes Menschenbild oder ähnliches enthalten. Allerdings konkurrieren diese menschenorientierten Qualitäten und Aufgaben meist sehr stark mit den zahlen- und ergebnisorientierten Anforderungen.
Und woran wird die Performance einer Führungskraft im Unternehmen gewöhnlich gemessen? Doch auch hauptsächlich oder ausschließlich an den Ergebnissen in Form von Zahlen. Oder an der Erreichung von Zielen, die in vielen Fällen von der Geschäftsleitung sogar noch vorgegeben wurden. Darüber, wie die Führungskraft diese Ziele erreicht, wird meist überhaupt nicht gesprochen. Boni gibt es auch eher für erreichte „harte“ (messbare) Ziele, und nicht für erreichte „weiche“ mitarbeiterorientierte Ziele. Auch in Schulen und Universitäten wird der Fokus eher auf das Erlernen der organisatorischen, prozessualen und zahlenorientierten Management-Fertigkeiten gelegt. In keinster Weise lernen Menschen dort Menschen zu führen.
Das heißt Führungskräfte von heute hängen oftmals noch im Führen i.S.v. Management, also managen von Prozessen fest, in denen „zufällig“ auch Menschen als eine Ressource (Human Resources) beteiligt sind. Der Schritt zur echten Menschen-Führung wurde in vielen Unternehmen noch gar nicht begonnen oder steckt noch in den Kinderschuhen, während die sich konstant weiterentwickelnde Welt da draußen schon nach einer völlig anderen Form der Führung schreit: hierarchiefrei, auf Augenhöhe, transparent, die Selbstverantwortung und das Potenzial jedes einzelnen freisetzend.
In unserem Buch „Edgeworker – Leadership war gestern!“ beschreiben Nicola und ich die neue Art der Führung eher als eine Art „Raumhalten“, so dass jeder Beteiligte in der Lage ist sein Bestes zu geben, um ein gemeinsames, inspirierendes (weil sinnhaftes) Ziel zu erreichen. Raumhalten kann jeder der bereit ist, Verantwortung für die Erreichung des gemeinsamen Zieles zu übernehmen. Hierarchie und Macht sind dafür nicht notwendig – ja sogar hinderlich, weil sie auf den Spielregeln der Konkurrenz und nicht auf kreativer Kollaboration basieren.
Hier die Gegenüberstellung von traditioneller Führung und unserer Vision einer Führungskraft der nächsten Generation, welche für ein Projekt Raum hält (Anm: Wir haben im Buch dafür den Begriff „Edgeworker“ bzw. „Edgeworking“ gewählt):
Die Herausforderung, die nun entsteht ist, dass Führungskräfte, welche jahrelang systemgegeben traditionelle Führung gelernt und gelebt haben, auf einmal eine andere Sorte Führungskräfte auswählen soll und gleichzeitig das eigene Verhalten in Richtung einer neuen Art der Führung verändern soll, über die sich noch niemand wirklich im Klaren ist … Heilige Scheiße, wie soll das denn bitteschön gehen!?
Der Weg entsteht beim Gehen …
Es macht die Dinge einfacher, wenn wir uns klarmachen, wo wir gerade stehen. Wir sind noch nicht in der neuen Welt angekommen, sondern wir sind bestenfalls gerade erst aus der alten Welt aufgebrochen. Das was im Moment also gebraucht wird, sind nicht bereits die Führungskräfte der neuen Welt. Da uns die neue Welt noch unbekannt ist, können wir nicht wissen, wie Führungskräfte in dieser Welt gestrickt sein müssen, oder ob es überhaupt noch Führungskräfte braucht. Was hingegen momentan gebraucht wird, sind Führungskräfte in einem anderen Sinne – nämlich Menschen, die bereit sind, ins Unbekannte vorauszugehen. Menschen, die bereit sind, die Organisation ins Unbekannte und durch das unsichere Tal des Übergangs zu führen, ohne bereits zu wissen wo es hingeht und wie es geht.
Folgendes Bild macht es deutlich:
Sie wissen zwar, dass die alte Welt in großen Teilen nicht mehr funktioniert bzw. nicht mehr die gewünschten Ergebnisse bringt. Sie wissen aber noch nicht, wie die neue Welt aussehen wird. Es gilt eine Brücke ins Unbekannte zu bauen, welche die alte Welt mit der neuen verbindet und so einen Weg in die neue Welt bahnt. Ungefähr so wie Christopher Columbus sich aufgemacht hat, eine neue Welt zu entdecken – er war sich sicher, dass es sie gibt, aber er wusste nicht wie sie aussah. Und am Ende entdeckte er eine völlig andere Welt, als die zu deren Entdeckung er aufgebrochen war.
Und jetzt fragen Sie sich einfach mal, welche Qualitäten solche Brückenbauer und Weltenentdecker benötigen. Hier ein paar Beispiele:
- Abenteuerlust, Forschergeist, Gegebenheiten in Frage stellen können
- innovativ sein, gerne über den Tellerrand denken, querdenken können
- verantwortlich Risiken eingehen können
- Fehler machen und aus ihnen lernen können
- zentriert sein, um die Angst vor dem Unbekannten aushalten zu können
- zentriert sein, um mit bisherigen Autoritäten auf Augenhöhe kommunizieren zu können
- empathisch sein, um mit dem Widerstand, den Veränderung erzeugt, umgehen zu können
- andere begeistern können, authentisch sein
- ein Team bilden können, auf Augenhöhe mit anderen zusammenarbeiten können, den Gruppengenius zum Vorschein bringen können
Eine Möglichkeit, damit dieser Übergang von der alten Welt zur neuen Welt in Ihrer Organisation gelingen kann, wäre z.B. die Einrichtung eines disruptiven Bereiches mit Edgeworkern, welche diese Qualitäten besitzen und die eng mit der Unternehmensführung zusammenarbeiten. Quasi eine evolutionäre Keimzelle innerhalb der Organisation. Ein Forscher-Team, welches in kleinen machbaren Schritten den Weg aus der alten Welt in die neue Welt bahnt und dabei die gesamte Organisation mitnimmt. Meist müssen Sie dafür noch nicht einmal neue Mitarbeiter oder Führungskräfte einstellen, sondern einfach mal genau nach diesen Qualitäten in Ihrem bestehenden Team Ausschau halten. Und wundern Sie sich nicht, wenn Sie diese Qualitäten genau in den Mitarbeitern finden, die in der alten Welt als Problem angesehen wurden.
Und was bedeutet das für die „alten“ Führungskräfte? Bei diesem Vorgehen benötigen die bisherigen Führungskräfte nur zwei Dinge: die Bereitschaft, den neuen Weg mitzugehen und die Bereitschaft, Führung neu zu lernen.
Haben Sie schon eine Musterbrecher-Abteilung in Ihrer Organisation etabliert? Nein? Na dann wird es höchste Zeit. Sie brauchen Ideen? Dann lassen Sie uns gemeinsam die ersten Schritte gehen bei der „Gaia sucht Mitarbeiter UnConference“ im Mai 2017.
Herzlichst
Ihre Patrizia Patz (Servidio)
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